„Gut drauf‘ sein“ mit Meister Eckhart
Erstellt von r.ehlers am Sonntag 12. Juli 2015
„Gott ist immer in uns, nur wir sind so selten zuhause“ Eckhart
Die Ideen des zu seiner Zeit und bis in insere Tage hinein in der Philosphie und Theologie sehr einflussreichen Dominikanerprovinzials Eckhart von Hochheim (1260 – 1327, bekannt als Meister Eckhart, auch Eckehart) sind durch die neuzeitliche Wellnessbewegung brandaktuell geworden. Nachdem erkannt wurde, dass Achtsamkeit, Fokussierung, Sebstaufmerksamkeit, Selbstbesinnung, Loslassen und Versenkung in der Meditation uns zu unserem Selbst und der wahren Lebenskunst führen, fiel auf, dass Meister Eckharts vorderstes Anliegen nicht die Beschäftigung mit hochfliegenden Theorien war, sondern die Verbreitung von Grundsätzen für eine konsequente spirituelle (!) Lebenspraxis im Alltag.
Wichtiger als die Lehren der Kirche und ihre Rituale, ist die Versenkung des Menschen in sich selbst, um auf dem Grund seiner Seele das Einssein mit der Schöpfung, bzw. dem Schöpfer zu erleben. Eckhart wurde lange im Schubfach der Mystik abgelegt, bis man erkannt hat, dass er von realen spirituellen Erfahrugen spricht, die perfekt in das von den Humanwissenschaften geschaffene neue Bild vom Menschen passen.
Natürlich kam Eckhart aus dem christlichen Glauben und redete in der Sprache des 13. und 14. Jahrunderts. Die Kirchenväter damals schockierte es, dass nach seiner Meinung im Seelengrund das menschliche Selbst mit der Gottheit eins sei und dass daher dieser Ort der unmittelbaren Anwesenheit Gottes nicht Teil der Schöpfung sei, sondern originär göttlich und ungeschaffen. Richtige Mystiker hatten ganz andere Fragen drauf, z.B. wieviele Engel wohl auf einer Nadelspitze Platz nehmen könnten! Immerhin sprach Eckhart von der „Gottesgeburt in der Seele“, weswegen die Kirche ihn wegen Ketzertums verbrennen wollte (er kam dem durch natürlichen Tod zuvor).
In heutiger Betrachtung können wir Eckharts Vorstellungen viel besser verstehen: Wenn wir vom „göttlichen Funken“ reden, wo anders sollen wir ihn denn suchen als auf dem Grund unserer Seele, die wir anders nicht erreichen können als dadurch, dass wir alle Distraktionen abstreifen, um zu uns selbst zu finden. Das ist auch der Weg Buddhas, den der universal gebildete Eckhart natürlich auch kannte. Im philosophischen Radio auf WDR 5 am 11.7.2015 sprach der Kölner Philosoph Andreas Speer davon dass man analog zu den Vorstellungen von Meister Eckhart dadurch, dass man durch das Erlernen der Gelassenheit, das Weglassen des Unwesentlichen, dem Widerstehen der Zerstreuung und das In-Sich-Hineinschauen als praktische Folge nicht automatisch eine Gottesanschauung erfahre, also keine „viseo dei“, der Mensch erfahre aber ein Fünkchen von sich selbst. Jemand in der Sendung nannte das ein
Programm zur Selbstsorge minus Religion.
Natürlich kann jeder Suchende nach eigenem Gusto seine Teil an Religion dazu packen, ohne dass dieses Programm an Wert leiden müsste.Ich halte es da aber mehr mit http://www.essenspausen.com/meditation-im-buddhismus-nicht-religion-sondern-lebenskunst/.
Eckharts praktischer Weg der Reinigung der Seele und die Gottesgeburt in ihr setzt voraus, dass sich die Seele von dem reinigt, was nicht zu ihr gehört. Der Mensch muss dafür Platz schaffen, indem er das entfernt, was im Wege steht. Dazu gehören insbesondere die im Hirn abgespeicherten und aus den Gedächtnsispeichern ( insbes. präfrontaler Cortex, Amygdala) hochkommenden Bilder und Vorstellungen und auch alle neu auf ihn zuströmenden Eindrücke, weil sie seine Aufmerksamkeit und Konzentration für den Abstieg zum Seelengrund an sich binden. In dem Maße, wie der Mensch die Hindernisse beiseite schafft, wird er nach Eckhart für Gott empfänglich. Da es nicht auf die Theorien über Gott und die Welt ankommt, sondern über die reale Freimachung von Geist und Gemüt von allen Distraktionen, besteht in Eckharts Worten eine Unterschied zwischen dem „Lesemeister“, der in seinen Schriften argumentiert, beweist und widerlegt, und dem „Lebemeister“, der das von der Theorie Geforderte in seinem eigenen Leben umsetzt. Ein Eckhart zugeschriebener Ausspruch lautet, ein Lebemeister sei nötiger als tausend Lesemeister.
Der Seelengrund ist nach Eckhart abgeschieden „von allem auf die Welt gerichteten Wollen und Begehren“. Es braucht daher die Gelassenheit des Menschen, das Loslassen von seinen Wünschen und die Entfernung aller Störfaktoren, die gerade in der Meditation erste Voraussetzung für das Gelingen eines tiefen Eindringens in das Selbst sind. Diese Abgeschiedenheit ist für Eckhart die höchste Tugend und steht sogar über der Demut und der Liebe.
Eine höchst private Nachbetrachtung
„Alles Denken ist perspektivisch.“
Dass dieser Satz von Nietzsche ohne Zweifel richtig ist und wir Menschen beileibe nicht alle Perspektiven einnehmen können, um die Welt im Ganzen zu verstehen, ist der agnostische Ausgangspunkt ebenso zwingend, dass wir keine ausreichende Erkenntnisfähigkeit haben, um verifizierbare Aussagen über Gott und die Welt zu machen, Das versteht sich auch ohne die Kant’schen Kriterien und Kategorien.
Wenn ich aber gewzungen würde zu sagen, welche der vielen Vorstellungen über die Welt, Gott und den Menschen mir am besten gefällt („like“) oder die ich für die Wahrscheinlichste halte, komme ich zu Meister Eckhart. Ich sehe nirgendwo das Nirwana, das Nichts, von dem Buddha spricht. Was kann man auch mit einem Nichts anfangen, das nach Heidegger nichts tut als vor sich hin zu nichten. Eher sehe sich so Vieles, dem ich gern irgendeinen Sinn geben möchte. Wenn es also ein Sein geben sollte, spricht von außen gesehen viel für seine universale Größe und Bedeutung.Ich kann da unbedenklich von Gott reden. Dass dieser sich irgendwie in allen seinen Schöpfungen befinden sollte, liegt nahe. Er wird im Menschen sein wie in allen anderen Dingen auch. Wir Menschen haben nur eine kleine Sonderrolle in diesem Geschehen, indem wir abstrakt über diese Dinge nachdenken und uns – möglicherweise – gefühlsmäßig tieferer Erkenntnis nähern können. Ob der Glaube eines Saulus, der durch eine Offenbarumg zum Paulus gworden sein soll, mehr als eine Phantasie ist oder auch der Glaube von Meister Eckhart an „seinen“ seltsamen dreifaltigen Gott? Dazu kann ich gar nichts sagen außer, das ich den Glaubenden meinen Respekt bekunde, weil sie ehrlich überzeugt sind und nicht blind und leichtfertig angenommen haben, was man ihnen in der Kindheit an Weltsicht beizubringen versucht hat.
Meine spekulative Gottesvorstellung liegt auf einer Linie mit den aktuellen Erkenntnissen aus den Wissenschaften der kleinsten und der größten Dinge. Ich meine damit die Auflösung der lange in den Atomen vermuteten „greifbaren“ Materie in Energie, die sich herunter dividieren lässt bis zu den Quarks, Strings und M-Branen sowie die Aufblähung des wachsenden Universums mit dunkler Energie. Dazu passt auch die Vorstellung der Humanwissenschaften, dass unser Selbst nicht einen bestimmten Wohnsitz hat, etwa das Herz oder sonst einen Punkt im Körper, sondern dass sie die Resultante aus den kognitiven und emotionalen Funktionen unseres Zentralnervensystems ist.